Unter der Lupe: F4U-1A Corsair von Revell in 1/72

 

2015 brachte Revell unter der Artikelnummer 03983 eine neue Corsair in 1:72 heraus. Seit 2016 gibt es den Bausatz auch als F4U-4B (Artikel 03955) in dunkelblau. Laut Revell-Internet sind beide noch verfügbar. Als bekennender Corsair-Fan mag ich das dreifarbige Tarnschema der ersten Bausatzversion besonders. Daher habe ich mir diese besorgt. Schauen wir mal, wie sich der Pirat* aus Bünde schlägt. Ich bin hier etwas tiefer eingestiegen. Wenn Ihr also noch einen Kaffee zum Schmökern holen wollt, ist jetzt der richtige Zeitpunkt dafür 😉

* Corsair heißt übersetzt Seeräuber, Pirat, Korsar.

Liebe auf den zweiten Blick

Als ich die weißen Spritzlinge aus dem prall gefüllten Karton zog, erschien mir der Bausatz im ersten Augenblick recht grobschlächtig. Woher der Eindruck kommt, kann ich gar nicht richtig nachvollziehen. Denn beim zweiten Blick entpuppten sich sie Teile als sehr fein detailliert. Es machte richtig Freude, auf Entdeckungsreise zu gehen. Doch der Reihe nach.

Der Bausatzinhalt.
Der Bausatzinhalt.

Was ist drin?

Die Revell-typische Faltschachtel ist prall gefüllt mit vier weißen und einen klaren Spritzling. Diese enthalten 62 weiße und zwei klare, fein detaillierte Teile. Die Haube ist zweiteilig. Klare Positionsleuchten gibt es nicht. Ein sauber gedruckter Decal-Bogen mit feinen, lesbaren (!) Stencils und Markierungen für zwei Versionen sowie die Revell-typische Bauanleitung vervollständigen den Bausatz. Einige versionsspezifische Bereiche sind als Einzelteile ausgeführt. Vielleicht dürfen wir uns noch auf andere Ausführungen freuen.

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Nach Bauanleitung können zwei F4U-A1 gebaut werden: die „Lucybelle“ von Major Gregory „Pappy“ Boyington der VMF-214 des U.S. Marine Corps, die im Dezember 1943 auf Vella Lavella eingesetzt war und eine U.S. Navy-Maschine der VF-17 Jolly Rogers aus Bougainville im Februar 1943. Beide Stützpunkte lagen auf den Salomoneninseln.

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Die Geschichte der Corsair erspare ich uns hier. Eine schöne Übersicht gibt zum Beispiel bei Wikipedia.

 

Wie weit soll ich gehen?

Als Autor von Besprechungen bin ich immer hin- und hergerissen. Wie weit gehe ich mit der Kritik? Werde ich zu pingelich, entsteht bei einem guten Bausatz der Eindruck, dass alles schlecht ist. Drücke ich ein oder beide Augen zu oft zu, wird die Besprechung zur Hofberichterstattung, die uns Modellbauern wenig hilft. Nun, als Corsair-Fan und bekennender Nietenzähler werde ich heute etwas tiefer einsteigen. Ihr könnt dann selbst entscheiden, ob die Kritikpunkte für Euch relevant sind oder ob ich Euch zu kleinkariert bin – das soll ja bei mir immer mal wieder vorkommen 😉 Hauptquellen für meine Beurteilung sind das Sqadron Signals Heft No. 29 „F4U Corsair in action“ und das Buch Aero Details No. 25 „Vought F4U Corsair“. So, jetzt aber genug der Vorrede. Lupe und Messschieber raus. Los geht’s!

 

Schwachstellenanalyse

Fangen wir mit dem Cockpit an. Es ist richtig mit offenem Boden dargestellt und eines der besten Corsair-Cockpits in 1:72. Da die Haube offen dargestellt werden kann, ist davon auch am fertigen Modell relativ viel zu sehen. Ein paar kleine Fehler haben sich aber auch eingeschlichen. Hier die wichtigsten: Die Anordnung der Instrumente ist nicht korrekt und zudem auf dem Decal anders, als die Vertiefungen auf dem Spritzgussteil. Hier solltet Ihr keinen Weichmacher verwenden. Auf den strukturierten Seitenkonsolen wird es sicher schwierig die Decals aufzubringen. Auch der Sitz ist für die -1A Version nicht korrekt. Die Sitzlehne solltet Ihr oben rund schleifen. Dann geht’s. Die Aussparungen oben im hinteren Schott (Teil 8) müssten für die -1A geschlossen werden. Die Klarsichthaube ist mit den anderen Teilen im Polybeutel und so nicht vor verkratzen geschützt. Insgesamt ist die Haube sehr dünn, schön klar aber etwas schlierig.

Der Motor schwächelt ein wenig. Er ist nicht ganz so präzise ausgeführt, wie die anderen Teile. Der Geduldige kann noch Zündleitungen ergänzen. Der Verteilerring am Getriebegehäuse (Teil 25) ist schon angespritzt. Bei den offenen Kühlklappen fehlen die Bleche, die den Zwischenraum zwischen den Klappen verschließen. Sie können aus dünner Plastikkarte ergänzt werden. Oder man nimmt das Teil mit den geschlossenen Klappen. Bei gebauten Modellen habe ich gesehen, dass vordere Ring der Motorcowling nicht besonders gut passt. Auch die Tragflächenspitzen benötigen wohl etwas Spachtel.

Die meisten Corsair der Ausführung -1A hatten den 13‘4“ Propeller. Im Bausatz ist aber der spätere 13‘1“ Propeller enthalten. Nun, 1,06 mm Abweichung im Propellerdurchmesser in 1/72 sind kein wirklicher Beinbruch. Jedoch sind die neueren, kleineren Propeller im unteren Bereich deutlich breiter. Wenn man es weiß, fällt es auf. Die Bemalungsanleitung (Baustufe 32 und 33) zeigen die richtige Ausführung. Einige -1A-Maschinen der VF-17 bekamen später die im Bausatz enthaltene Propellervariante. Für die Markierungsvariante „3“ in Bauabschnitt 33 ist er also möglicherweise korrekt für die „86“ der VMF-214 wohl nicht.

Die Landeklappen lassen sich nicht abgesenkt darstellen, wie dies immer wieder bei abgestellten Maschinen zu sehen ist, da sich in der inneren Steuerbordklappe eine Aufstiegshilfe befindet. Diese fehlt am Modell. Zwingend sind die abgesenkten Klappen aber nicht. Und wenn wir gerade bei den Klappen sind: Die Gravuren zwischen Querruder und Landeklappen und den Tragflächen sollten tiefer sein. Das und die etwas kräftig ausgefallenen Eindellungen an den stoffbespannten Bereichen der Tragflächen sind die einzigen Stellen, an der mir die Gravuren nicht gefallen. Sonst sind sie super. Im hinteren Bereich der Tragfläche sind Sinkstellen zu finden (siehe Bild unten). Ob das beim lackierten Modell auffällt, kann ich nicht sagen.

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Hier sieht man die Sinkstelle entlang der Klappen und die etwas kräftige Darstellung der stoffbespannten Bereiche.
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Kurz erklärt: Sinkstellen und Lunker

Das Fahrwerk ist recht gut getroffen. Detailfreaks können noch ein paar Gelenkstangen, Federn und Leitungen ergänzen. Das Gestänge beim Spornrad kann man noch durchbrechen. Es ist massiv ausgeführt.

Die Pylone (Teile 74) und Abwurftanks solltet Ihr nicht verwenden Sie gehören zu -1D-Variante. Die Vertiefungen in den Tragflächen müssen verspachtelt werden. Einige -A hatten mittig unter dem Rumpf eine feldmäßig gebaute Bombenhalterung. Die beiden aus dem Bausatz möglichen Maschinen aber vermutlich nicht. Einziger, mir aufgefallener Fehler bei den Abziehbildern: Die Nummer an den Fahrwerksklappen der „Lucybelle” der VMF-214 ist 86 und nicht 833. Das kann man mit ein paar Schnitten korrigieren.

Zum Schluss noch was zum Bauplan: In Bauabschnitt 13 ist die Motorverkleidung zu kurz gezeichnet. Dadurch sieht es so aus, als ob die Abgasrohre (Teile 21, 22) vorne an die Cowling gehören. Sie gehören hinter die Motorverkleidung. Die Bemalungsanleitung und das Deckelbild zeigen es richtig.

 

Maße

Insgesamt sind die Maße, Winkel und Proportionen sehr gut getroffen. Nach den Plänen im Sqadron Signals Heft sind die Tragflächen und das Cockpit etwas zu weit vorne. Beim Vergleich mit Originalfotos konnte ich das aber nicht eindeutig verifizieren. Wie bei den Details schwächelt der Motorbereich auch bei den Maßen etwas. Der Motor ist etwas zu tief eingebaut und die Rundung der Motorcowling ist zu flach. Das war’s dann aber auch schon an Kritik.

 

Was gefällt

Nach den kritischen Punkten folgt natürlich auch das Lob. Folgendes fiel mir besonders positiv auf: Wie eingangs schon erwähnt, sind die Details und die Gravuren überwiegend sehr stimmig, fein und präzise umgesetzt. So, wie ich sie mag. Besonders die Fahrwerksklappen sind Benchmark. Ganz Genaue können noch ein paar Nietenreihen ergänzen. Die Tragflächenhinterkanten und die Kühlklappen sind hauchdünn. Auch die durchbrochenen Räder fallen positiv auf. Die Auswerfermarken sind, mit Ausnahme zweier in den vorderen Fahrwerkschächten und den hinteren Fahrwerksklappen, da wo sie nicht stören.

Das separate Teil für den Bereich vor dem Cockpit sorgt dafür, dass die Gravuren auch dort schön ausgeführt sind. Übrigens: Die weißen Streifen der Maschine der VF-17 sind Klebebänder aus dem San-Bereich. Sie verhinderten, dass Öl raussabberte und die Scheiben verschmutzte. Die Corsair war ein Kraftpaket, aber kein Saubermann – was man oft auch an der Unterseite sieht. Mit diesem weißen Klebeband wurden auch manchmal die Öffnungen der Flügel-MG zugeklebt, um sie vor Staub zu schützen. Der erste Schuss ging dann einfach durch das Klebeband. Nach der Landung kam wieder neues Band drauf. Um die MG herum waren dadurch besonders viele Lackabplatzer. Und wenn wir schon bei den MG-Öffnungen sind: dadurch, dass sie als separates Teil ausgeführt sind, sind sie schön rund. Auch die Kühlöffnungen an den Tragflächen sind erfreulicher Weise separat.

Besonders positiv finde ich die vielen korrekten Maße, egal ob Hauptmaße, Fahrwerkschacht oder im Detail. Clevere Einzelteile sorgen dafür, dass viele Details sehr schön ausgeführt sind. Die feinen gut recherchierten Decals in sehr guter Ausführung runden das positive Gesamtbild ab.

Zum Schluss sein noch das sehr gute Preis/Leistungs-Verhältnis erwähnt. Der Tamiya-Bausatz ist vielleicht einen kleinen Tick besser; ist aber um fast das Dreifache teurer. Allen anderen 72er Corsairs kann Revells Preis-Pirat locker entgegentreten.

 

Was es alles gibt

Inzwischen hat sich auch der Zubehörmarkt auf die Revell-Corsair eingestellt. Es gibt zum Beispiel einen neuen Motor von Quickboost, ein Armaturenbrett von Yahu. Haupträder von Baraccuda, jede Menge Ätzteile von Eduard, Masken, Decals und vieles mehr. Entscheidet selbst, wie tief Ihr in die Tasche greifen wollt.

 

Fazit

Es hat mir richtig Spaß gemacht, die neue Corsair von Revell unter die Lupe zu nehmen – das seht Ihr auch an der Länge dieses Artikels 😉 Die oben erwähnten kleinen Fehler stören das Gesamtbild nicht wirklich. Viele lassen sich mit wenig Aufwand beseitigen – so man das denn wirklich will. Entscheidet man sich für die Maschine der VF-17 mit geschlossenen Kühlklappen, kann man das Modell korrekt aus dem Kasten bauen. Ein dickes Plus sind die schönen Gravuren, die gute Maßhaltigkeit und die schönen Decals. Wenn ich einen Wunsch an die Zubehörindustrie hätte, wären es neue Landeklappen und Querruder, die man ausgelenkt darstellen kann (von abgeklappten Tragflächen wage ich nicht zu träumen…). Insgesamt also ein sehr schönes, stimmiges Modell zu einem sehr guten Preis/Leistungs-Verhältnis.

Euer Jürgen von der SIM (Januar 2017)

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